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Kalle Paltzer nutzt den vergänglichen Werkstoff Papier als recyceltes Werkmaterial für seine plastischen Körper mit lebendigen Oberflächenlandschaften. Er entwickelt – spielerisch zwischen Transparenz und Dichte changierend – experimentelle Produktionstechniken.
Haptisch-optische Reize und skulpturale Präsenz potenzieren sich im Spannungsfeld von Licht und Schatten, die sich an Rasterlinien, -punkten, Wölbungen oder Craquelées scheiden.
Grundierungen – oft schwarze Farbe – lässt der Künstler unter vielen, versetzten Teilüberlagerungen nur an dezidierten Stellen und in abgestuften Intensitätsgraden durchschimmern.
In Balance wischen Ruhepole und Dynamik gesetzte Akzente werden zu bedeutungsträchtigen Kraftfeldern und Bewegungsrichtungen.
Paltzer verbindet zwei offene Schöpfungsprozesse miteinander: Einerseits schichtet er, gießt ab (z.B. industrielle Fundobjekte), baut dreidimensionale Maße auf und reißt, schneidet, hämmert Material ab.
Die dabei fließende Energie überträgt sich auf seine organischen Geschöpfe, die auf- und abzuatmen, zu vibrieren scheinen. Andererseits beruht die skulpturale Gestaltung auf Naturgesetzen, ausgelöst von der Verleimung übereinander gelegter Materialien unterschiedlicher Elastizität und Reißfestigkeit, die in unausweichlicher Haftung im Trocknungsprozess aneinander zerren.
Sie werfen Falten, reißen ein, wölben sich zu Hohlkörpern oder Schalen, die als Folie vor der Wand schweben.
Assoziationen zum menschlichen Organismus (Hautwunden, Äderchen, Gerippe) und zur Natur (Urgesteine, Flüsse) stellen sich ein, berührenden Betrachter emotional.
Kalle Paltzer, Grafik Designer und gelernter Keramiker, legt ein Schönheitsverständnis zugrunde, das im Einklang mit der fernöstlichen Keramikphilosophie bei der Herstellung von Matcha-Schalen nicht eine „cleane Glätte“, sondern die Ästhetik des Verborgenen, Unregelmäßigen, des menschlich Unperfekten würdigt.
Dr. Marta Cencillo-Ramirez, Kunsthistorikerin, Köln
Die malerischen Reliefs von Kalle Paltzer werden nur Betrachter zu schätzen wissen, die sich für ein Bild Zeit lassen können. Die miteinander verklebten Papierschichten zeigen wellige Oberflächen mit feinen schwarzweißen Farbnuancen.
Erinnerungen an Landschaften treffen auf die Idee von Verhüllung – das Gefühl von Anfassbarkeit auf das der Zerbrech-lichkeit. Den Kleber für die verschiedenen Seiden- und Reispapiere stellt er aus alten Rezepturen selbst her.
Der 1960 in Bitburg geborene Künstler fand über die Bildnerei mit Keramik und verschiedene Formen der Zeichnung. Illustration und grafischen Gestaltung zu dieser Art der bildlichen Objektkunst.
Auf der einen Seite steht die Poesie des Materials, auf der anderen der Zauber von Schwebezuständen und Leichtigkeit. Es gibt kein Motiv, sondern lediglich die Präsenz vieler feiner, geheimnisvoller Spuren, die zum Staunen und Meditieren verführen.
Jürgen Kisters, Köln
Kalle Paltzer hat in der Eifel eine Töpferlehre absolviert, ehe es ihn nach Köln zog. Er ist ein echter Tausendsassa, Musiker, Schauspieler, Illustrator, Grafiker und seit den 1990er Jahren bildender Künstler.
Papier ist dabei sein Ausgangsmaterial, das er seit vielen Jahren auf den Straßen und Spazierwegen sammelt, oft achtlos weggeworfene Fetzen, die in sein Archiv aufgenommen werden, um dort auf ihr ästhetisches Recycling zu warten. Meist wird zunächst mit Pappe ein Grundgerüst gebaut, auf dass dann teilweise Pulpe, ein Papierbrei, mit einem selbst entwickelten Spezialleim aufgetragen oder Papier in zahlreichen Lagen aufkaschiert wird.
Beim Trocknungsprozess zieht sich das nasse Papier zusammen, lässt das darunterliegende Gerüst plastisch hervortreten und verformt schließlich die ganze Papierplastik in konkave oder konvexe Formen, ein Vorgang, den der Künstler mit Gewichten geschickt zu steuern weiß. Zweidimensionales Papier wird also in einen dreidimensionalen Körper verwandelt, den man auch als Reliefs bezeichnen könnte, der als hängendes Wandobjekt seinen Platz als Kunstwerk findet.
Kalle Paltzer gelingen so echte Metamorphosen. Das industriell hergestellte Papier wird jeweils in einen elementaren Ur- und weichen Aggregatzustand verwandelt, so dass es neu geformt werden kann.
Wie bei echtem Recyclingpapier entsteht etwas Neues aus etwas Alten, das sich freilich ganz von der industriellen Perfektion löst und dem Papier seine organische und vegetabile Natur wieder zurück gibt.
Der Leim und farbige Reste im Papier selbst reagieren miteinander und erzeugen eine eigene zarte Farbigkeit. Bisweilen forciert der Künstler dieses Kolorit durch zugesetzte Pigmente.
Licht und Schatten spielen über die Oberflächen, die – je nach Betrachtungswinkel – immer neue Strukturen offenbaren. Dabei können sich Assoziationen an Haut und Adern, Rippen und knochenähnliche Strukturen einstellen. Man kann auch an Steine denken, die bei Kalle Paltzer freilich nur eine optische Schwere und Massivität suggerieren.
Und je länger man schaut, desto faszinierender wird dieses Trompe- l’oeil und die Kunst des Kalle Paltzer „mit dem Auge zu fühlen“.
Dr. Dietmar Schuth, Kunsthistoriker, Worms